Zwillinge bekommen, Elternzeit genommen, gekündigt worden – ein Bericht

Die Serie Elternzeitberichte von Vätern geht weiter. Im Mai habe ich dafür in einem kleinen Aufruf nach Vätern gesucht, die über ihre Erfahrungen in der Elternzeit berichten. Es geht um Vereinbarkeit, Rollenfindung und darum, wie Väter diese Pause vom Job – im Tausch mit der intensiven Familienzeit inklusive der dazugehörigen Care- & Haushaltsarbeit – erlebt haben. Es haben sich bereits einige Männer bei mir gemeldet und fleißig geschrieben. Jetzt stelle ich sie euch hier im Blog nach und nach vor.

Einer von ihnen ist Leander, freischaffender Diplomdesigner und Illustrator. Leanders feine Linie bewundere ich schon seit geraumer Zeit und daher habe ich mich wahnsinnig gefreut auf diesem Wege noch etwas mehr über ihn zu erfahren. Leander ist nämlich Vater von Zwillingen und überzeugter Elternzeit-Nehmer. Auch er hat mir meine Fragen beantwortet – diesmal im Interview. Ich bin ja etwas geschockt, dass Leander schon der zweite Vater in dieser Reihe ist, dem der Arbeitgeber mitteilte, er bräuchte nicht wiederkommen, wenn er jetzt Elternzeit nähme. Also das scheint ja immer noch recht häufig vorzukommen. Aber lest selbst:

Hast du Elternzeit genommen und wenn ja, wieviel?

Ja, habe ich. 7 Monate, allerdings wollte ich 12 Monate nehmen. Wir hatten nach der Beratung allerdings etwas falsch verstanden und mit der Zwillingsregelung zum damaligen Zeitpunkt verwechselt und ich habe dummerweise dadurch 5 Monate verloren.

Warum habt ihr euch für diese Aufteilung der Zeit entschieden?

Es war für mich keine Frage OB ich Elternzeit nehme. Wir haben Zwillinge bekommen. Ich wollte meiner Frau nicht die ganze Arbeit alleine überlassen, und ich wollte Teil der Kindheit meiner Kinder sein. Nicht Elternzeit zu nehmen kam so für mich gar nicht in Frage.

Gab es Widerstände beim Arbeitgeber oder unter den Kollegen?

Ja. Ich habe nach meiner Ankündigung, dass ich Elternzeit nehmen möchte, ziemlich deutlich durch die Blume gesagt bekommen, dass ich danach nicht wiederkommen brauche. Ich bekam eine Abfindung und wurde dann “gehen gelassen”. Zitat: “Die Arbeit muss oberste Priorität haben. Wir brauchen zuverlässige Mitarbeiter und nicht jemanden, der auf Kinder aufpassen muss.”

Hattest du Bedenken (Karriereknick, …)? Sind sie bestätigt worden? Oder gelöst? Wie?

Ja, Ja, jain … hm. Ich wusste es wird hart. Vor allem, weil ich mir vorgenommen hatte, nach dem Verlust meiner Anstellung zu 100% freischaffend zu arbeiten. Das ging rechnerisch leider nicht auf und ich musste mir eine neue Stelle suchen. Ich arbeite nun in Teilzeit, auch um Zeit für meine Kinder zu haben, aber auch – um hier ganz ehrlich zu sein – um meine selbstständige Arbeit nicht einschlafen zu lassen. Das funktioniert leider nicht ganz. Zum Einem könnte ich gar nicht Vollzeit arbeiten, selbst wenn ich wollte, da die Betreuung unserer Kinder nur bis 14 Uhr gewährleistet ist, und zum anderen komme ich nicht wirklich zum Arbeiten, wenn ich meine beiden Energiebündel dann selbst betreue. Meine Festanstellung leidet nicht darunter, aber meine Selbstständigkeit ist ziemlich kleinlaut geworden, und eigene Projekte, die mir sehr wichtig sind, schlafen fast ein.

Was hast du dir von der Elternzeit versprochen? (Ist es eingetroffen?)

Das was ich mir “versprochen” habe wurde auch erfüllt. Ich habe die Entwicklung meiner Kinder vom ersten Moment an miterleben können. Und ich bin einer der Väter, die mit ihren Kindern auch im sehr jungen Alter Dinge erleben und tun können, ohne dass ständig nach Mama gebrüllt wird oder nicht auf mich gehört wird. Ich bin Teil ihres Lebens und Ansprechpartner. Auch wenn ich bei einigen Dingen nicht mit Mama mithalten kann, und ich davon überzeugt bin, dass da immer noch eine andere Beziehung besteht als zu mir, bin ich meinen Jungs sehr nahe und genieße das in vollen Zügen. Ich sehe zu wie sie wachsen, und es überwältigt mich immer, jeden Abend, jeden Morgen, jeden Tag.

Kannst du deinen typischen Tagesablauf kurz und knapp beschreiben?

Das hängt vom Wochentag ab, da die Betreuung ab 14 Uhr teilweise von meiner Frau, und teilweise von mir übernommen wird. Wenn ich die Jungs übernehme ist es so: Kurz vor 7 klingelt der Wecker. Ich mache einen Kaffee für meine Frau und mich, dann den Jungs Frühstück. Meine Frau sorgt dafür, dass die Jungs sich anziehen. Meine Frau bringt mich und die Jungs in der Regel mit dem Auto bis zum Kindergarten. Ich bringe sie rein und setze sie ab, meine Frau fährt schon weiter zur Arbeit. Ich gehe zu Fuß weiter zur Arbeit. Kurz vor 14 Uhr gehe ich wieder los, hole meine Jungs ab, tausche mich meist kurz mit den Erzieherinnen aus und gehe dann mit meinen Jungs zu Fuß nach Hause. Das dauert immer etwas länger, weil es immer viel zu entdecken gibt, oder ich mache mit den Jungs ein kleines Picknick am Fluss, wenn es das Wetter zulässt. Gegen 15 Uhr sind wir zu Hause. Ich mache dann etwas Hausarbeit und die Jungs bekommen was Kleines zu Essen (wenn’s kein Picknick gab). Während die Jungs dann spielen (AKA die Wohnung auseinander nehmen) bereite ich das Abendessen. Danach ist meist nur noch kurz Zeit, um mit den Jungs zu malen oder etwas zu spielen (oder einfach nur das Chaos aufzuräumen). Dann ist schon Zeit, die Zähne zu putzen und den Schlafanzug anzuziehen. Meine Frau kommt meistens in diesem Zeitraum von der Arbeit nach Hause. Es ist dann meist schon um 19 Uhr. Abwechselnd bringe ich, oder meine Frau dann die Jungs ins Bett. Wir lassen uns von den Jungs die Höhen und Tiefen des Tages erzählen, lesen ihnen etwas vor und dann schlafen sie in der Regel gegen 20 Uhr. Dann ist man meistens so ausgepowert, dass man den Abend noch mit sinnfreier oder “leichter Kost” verbringt, bevor es dann auch für uns ins Bett geht. An den Tagen, an denen meine Frau die Jungs ab 14 Uhr hat, komme ich gegen 15:30 nach Hause und kümmere mich ein wenig um die Jungs, da meine Frau auch dann noch im Homeoffice bis circa 17 Uhr weiterarbeiten muss. Danach teilen wir uns dann die Aufgaben und wie immer wechseln wir uns beim zu Bett bringen ab.

War irgendwas ganz anders, als du es dir vorgestellt hast?

Ganz anders nicht. Es ist mehr Zeitaufwand als ich gedacht habe. Auch wenn die Jungs immer selbstständiger werden, es ist erstaunlich wie schnell der Tag rum ist, und wie schwer es ist länger als 30 Minuten am Stück mal an etwas zu arbeiten.

Was hat deine Partnerin in der Zeit gemacht? Arbeit oder auch Elternzeit?

Meine Frau hat ihre Elternzeit auf knapp 2 Jahre gestreckt. Die damalige Regelung für Zwillinge ermöglichte es uns, dass wir gleichzeitig Elternzeit nahmen, jeder für ein Kind. Wir hatten also eine schöne gemeinsame Zeit nur für die Kinder und uns. Das war sehr schön, und hat uns viel gegeben.

Wie hat euer Freundeskreis/Familie reagiert?

Da habe ich gar nicht so drauf geachtet, muss ich zugeben. Ich denke positiv.

Wie siehst du die Elternzeit im Rückblick?

Super. Würde auf jeden Fall wieder Elternzeit nehmen. Ich habe in den ersten zwei Jahren mehr Zeit und Erfahrungen mit meinen Jungs gehabt, als mein Vater mit mir in seinem ganzen Leben.

Gab es ein Rolemodel (Vorbild) oder wie hast du in deine Rolle hineingefunden?

Nicht wirklich. Ein wenig meine Mutter … ich glaube aber, dass meine Frau und ich da recht natürlich reingerutscht sind. Wir hatten aber auch einfach tolle Unterstützung. Die Hebammen aus dem Geburtshaus Marburg waren für uns da, unsere Familien haben uns mit Material und Wissen überschüttet. Freunde haben Hilfe angeboten und uns nicht ausgeschlossen, wenn es um Feiern und ähnliches ging. Die Mutter meiner Frau kam kurz nach der Geburt der Jungs für eine knappe Woche und hat uns den Rücken frei gehalten. Es war/ist natürlich anstrengend, aber die Hilfe unseres Umfeldes war toll.

Wie war eure Aufteilung der Care- bzw. Hausarbeit während der Zeit?

Ich habe es als sehr fair wahrgenommen. Meine Frau hat mir das dann zum Glück auch bestätigt. Es gab Phasen, wo sie deutlich mehr direkt mit den Jungs erlebt hat (Stillzeit) und ich einfach mehr “Hausmann” war, und dann kam die Zeit in der meine Frau mehr arbeiten musste als ich, und ich auch die klassische “Mutterrolle” mehr übernahm. Inzwischen hat sich das ganz gut ausgeglichen. Hoffe/glaube ich zumindest.

(Bücher, Blogs…)? Welche? Was hat gefehlt?

Ich mag die meisten Ratgeber überhaupt nicht. Ich bin ein enormer Freund der Individualität, und das einzige was ich mir anschaue, sind Zeiträume von bestimmten Entwicklungsschritten beim Körper oder beim Verstand, um ein wenig die Gesundheit meiner Jungs überblicken zu können. In Sachen Erziehung habe ich mehr auf Berichte von Familie und Freunden gehört. Ratgeber und Blogs habe ich keine einzigen gelesen. Meine Frau hingegen hat gerade in Blogs sehr viel gelesen und immer mal wieder Ideen daraus ins Gespräch gebracht oder mir auch mal einzelne Artikel verlinkt.

Was mir am meisten bringt, ist zu versuchen wie die Jungs zu denken, und mich an meine frühe Kindheit zu erinnern. Was habe ich früher gemacht? Was für Impulse und Gefühle habe ich damals verspürt? Das klappt nicht immer, und nicht immer rechtzeitig, aber es hat mir oft geholfen, Fehler von meiner Seite zu erkennen und daran zu arbeiten.

Wie zufrieden wart ihr (jeweils) mit diesem Model? Was würdet ihr euch vom Staat, oder der Gesellschaft verbessernd wünschen? (Oder beim nächsten Mal anders machen?)

Mein Fehler war das späte Anfangen der Elternzeit. Jetzt wo ich es besser weiß, würde ich es sofort machen. Wir konnten die “neue” Regelung für Zwillingsgeburten nutzen. Soweit ich weiß, ist diese wieder abgeschafft. Das halte ich für falsch. Zwillinge SIND eine deutlich größere Belastung, und müssen auch wie zwei Geburten gerechnet werden. Nicht wie eine. Es geht um die Kinder, nicht um die Geburten.
Die Entwicklung, die Hebammen finanziell untragbar zu machen, halte ich für katastrophal. Unsere Hebamme hat uns sehr viel geholfen und so wie ich das Geburtshaus bei uns in der Stadt kennengelernt habe, war das eine menschennahe und ehrliche Begleitung. Ich fühlte mich gut vorbereitet und konnte meiner Frau zur Seite stehen. Und nach der Geburt war die Hebamme ein wichtiger Ansprechpartner. Man kann zur Hausgeburt vs. Krankenhausgeburt stehen wie man will, die Aufklärungsarbeit vor, und Hilfestellung nach der Geburt sind Gold wert.

Jede Familie und jede Erfahrung ist anders. Aber gibt es vielleicht Tipps oder Anmerkungen, die ihr anderen Familien gerne mit auf den Weg geben wollt?

Bewusst mal die Kinder einfach machen lassen. Bei mir war es der eigene Zeitdruck, oder die “Verpflichtungen” und meine Faulheit, die mich schnell reizbar oder gestresst machten. Wir hatten eine sehr erschöpfende Phase um den 2. Geburtstag der Jungs. Da habe ich sehr deutlich gespürt, dass es eigentlich nicht die Jungs waren, die den Stress gemacht haben, sondern ich selbst, mit meinen “Ansprüchen” und Gewohnheiten. Der Druck des Erwachsenseins hat da mehr kaputtgemacht als geholfen. Jetzt erkenne ich solche Momente schneller und kann viel besser auf Stressmomente der Jungs eingehen, und mir damit auch sehr viel Stress ersparen. Nicht immer leicht, klappt auch nicht immer. Aber es hat bei mir eine hohe Erfolgsquote.

Lieber Leander, vielen Dank für dieses Interview!

Also ich kann Leander nur Recht geben: Zwillinge sind einfach nochmal eine ganz andere Nummer. Ich selbst habe schon einige Zwillingsfamilien betreut und muss sagen, dass ich immer großen Respekt vor den logistischen Fähigkeiten habe, die diese Eltern entwickeln. Alleine schon das Stillen/Füttern und Wickeln auf die Reihe zu bekommen… Oder den emotionalen Stress, wenn beide Kinder gleichzeitig weinen… Da reichen eben oft zwei Arme gar nicht mehr aus und es ist ein Segen, stattdessen vier zur Verfügung zu haben.
Obendrein ist es mit Zwilligen deutlich schwieriger, die normalen, “einfachen” Dinge des Alltags zu bewältigen. Eine Frau, die ich betreute, hatte weit und breit keinen Supermarkt in der Nähe, bei dem sie mit dem Zwillingswagen durch die Kasse gepasst hätte. „Mal eben noch ‘ne Tüte Milch holen“ ging einfach nicht. Und wir sprechen hier über Berlin!
Das erste Babybaden ist für viele Eltern ebenso schön, wie herausfordernd – aber stellt euch das mal im Doppelpack vor. Das ist alles erlernbar, aber einfach noch ein bisschen anstrengender.
Um so besser, wenn man es sich – wie in diesem Fall – teilen kann.

Und wer jetzt hoffentlich neugierig geworden ist, und noch mehr über Leander und seine Kunst wissen möchte, dem empfehle ich einen Besuch seiner Seite: LAT-Design.de. Oder ihr folgt Leander Taubner einfach auf Twitter, so wie ich.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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1 Kommentar
  1. Avatar
    Anna sagte:

    Sowas macht mich traurig. Und spiegelt für mich irgendwie die Entwicklung in der heutigen Zeit wieder 🙁
    Arbeit muss oberste Priorität haben. Arbeit ist wichtiger als Hobbies. Wichtiger als Freunde. Ja und sogar wichtiger als Familie.
    Klar ist Arbeit wichtig, man muss eine Familie ja ernähren. Aber hat Arbeit allen ernstes oberste Priorität? Ich finde es traurig, wenn es so ist. Und vor allem auch traurig, dass das scheinbar immer häufiger erwartet wird.

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